Schärfentiefe- und Scheimpflug-Rechner
Verstellbare Fachkameras können mehr, aber erfordern spezielles Know-how
Bei professionellen Architektur- und Sachaufnahmen, aber oft auch bei Landschaftsaufnahmen ist eine verstellbare Fachkamera unerlässlich. Mit direkter oder indirekter Parallelverschiebung können „stürzende Linien“ vermieden oder reduziert und andere perspektivische Korrekturen vorgenommen werden. Mit der Scheimpflug-Schwenkung des Objektivs kann die Schärfeebene im Raum verkippt und besser an die räumliche Ausdehnung der Motivs angepasst werden, um weiter reichende Schärfentiefe zu erzielten. Ohne diesen Trick müsste oft viel stärker abgeblendet werden, was Beugungsunschärfe verursacht.
Als solche Aufnahmen noch analog mit Großformatkameras auf Planfilm aufgenommen wurden, war es selbstverständlich, diese Verstellmöglichkeiten der Fachkameras zu nutzen. Heute wird überwiegend digital fotografiert, und darum meinen viele (vor allem die jüngeren) Fotografen, auf Kameraverstellungen verzichten und perspektivische Mängel später bei der Bildbearbeitung am Computer beheben zu können. Das ist zwar bezüglich perspektivischer Korrekturen nicht grundsätzlich falsch, aber dann mit sehr viel mehr Zeitaufwand verbunden, wenn nach der Korrektur das Verhältnis von Beite zu Höhe noch stimmen soll. Ferner führt die Entzerrung mit dem Computer zu erheblichem Schärfeverlust (bitte klicken Sie für den Beweis auf den Link). Bezüglich der Scheimpflug-Schwenkung mit ihrem Gewinn an Schärfentiefe gibt es überhaupt keine nachträgliche Computer-Alternative.
Wer diese Vorzüge verstellbarer Fachkameras nutzen möchte, aber noch nicht über das nötige Wissen verfügt, kann sich in den seit vielen Jahren von mir durchgeführten Linhof-Seminaren die theoretischen Grundlagen und erste praktische Erfahrungen mit solchen Kameras aneignen. Auch wenn ich dort natürlich mit Linhof-Kameras arbeite, sind meine Erklärungen so weit wie möglich firmenneutral und berücksichtigen ggf. abweichende Arbeitsweisen bei anderen Kamerafabrikaten (ALPA, Sinar, Cambo usw.).
Wie fokussiert man richtig, um die gewünschte Schärfentiefe zu erhalten?
Wie man richtig scharfstellt, glaubt jeder Fotograf zu wissen. Aber meine Erfahrung aus den Seminaren zeigt, dass es oft falsch gemacht wird: Wenn die Schärfentiefe von V (vorn) bis H (hinten) reichen sollen, wird meistens auf das Ende des ersten Drittels zwischen V und H fokussiert, weil es sich mal irgendwer so gedacht und in einem Fotobuch geschrieben hat. Dann haben es viele andere Autoren ungeprüft übernommen und weiterverbreitet. Richtig ist das jedoch nur, wenn H doppelt so weit entfernt ist wie V, unabhängig von Brennweite, Abbildungsmaßstab und Blende. Ist H weniger als doppelt so weit entfernt, ist auf eine Entfernung E etwas näher der Mitte zwischen V und H einzustellen. Und wenn H weiter oder gar sehr viel weiter als doppelt so weit entfernt ist, dann liegt die richtige Einstellentfernung E näher oder sehr viel näher an V als an H.
Der obigen Zeichnung liegt eine exakte mathematische Berechnung zugrunde, die ich dem Fotografen bei seiner Arbeit natürlich nicht zumuten möchte. Zudem wäre es oft nicht oder nur mit sehr großem Aufwand möglich, die exakten Entfernungen von V und H zu ermitteln, um daraus die richtige Scharfstell-Entfernung von E zu berechnen. Man kann aber so vorgehen: Man fokussiert die Fachkamera einmal auf V und einmal auf H (die Reihenfolge ist egal) und erhält so die sogenannte „Auszugsdifferenz“ zwischen den Einstellpositionen für V und H. Die beste Einstellung liegt dann ziemlich genau in der Mitte der Auszugsdifferenz (nur um eine vernachlässigbare Winzigkeit näher der Einstellposition für H). In der Praxis ist die Einstellung auf die Mitte gut genug.
Und wie stark muss jetzt noch für diese Schärfentiefe abgeblendet werden?
Damit ist die richtige Scharfeinstellung gefunden, aber noch nicht bekannt, bei welcher Blende die Schärfentiefe genau von V bis H reicht. Zu geringes Abblenden für eine kurze Verschlusszeit und geringste Beugungsunschärfe hätte zur Folge, dass nur ein Teil des gewünschten Bereichs scharf wird. Umgekehrt nach dem Motto „viel hilft viel“ zu weit abzublenden, ergäbe jedoch eine unnötig lange Belichtungszeit, die zu Bewegungsunschärfe führen kann, und lieferte stärkere Beugungsunschärfe.
Wie also findet man die optimale Blende? Man kann eine Tabelle verwenden, wie sie die Teilnehmer des Linhof-Seminars erhalten. Links sehen Sie deren Seite für das Planfilmformat 9 x 12 cm / 4 x 5 in.; es gibt drei weitere Seiten für Rollfilmformate 6 x 7 cm / 6 x 9 cm und die großen Planfilmformate 13 x 18 cm / 5 x 7 in. sowie 18 x 24 cm / 8 x 10 in.
Man findet die richtige Blende in der Spalte mit dem ermittelten Abbildungsmaßstab und der Zeile mit der ermittelten Auszugsdifferenz. Wegen ihrer geringen Größe hat die Tabelle nur wenige Zeilen und Spalten. Daher können die ermittelten Wert oft zwischen den Tabellenwerten liegen. Man nimmt dann einen der benachbarten Werte oder schätzt Zwischenwerte ab.
Leider ist die Tabelle nur für Roll- und Planfilmformate ausgelegt und nicht für kleinere (Digital-)Formate.
Meine Rechenscheibe ist genauer und berücksichtigt Formate ab 24 mm x 36 mm
Berechnen wäre viel genauer. Damit der Fotograf weder Formeln auswendig kennen noch mühsam rechnen muss, habe ich eine kleine Rechenscheibe konstruiert, mit der das einfach und sehr genau geht. Man stellt auf entsprechend bezeichneten Skalen der Rechenscheibe in der bezifferten Reihenfolge das Aufnahmeformat, den Abbildungsmaßstab und die Auszugsdifferenz ein und liest unten auf der weißen Scheibe die daraus resultierende Blende ab.
Aufnahmeformate von Kleinbild 24 mm x 36 mm bis Großformat 8" x 10" sind im Formatfenster wählbar. Der Abbildungsmaßstab und die Auszugsdifferenz können stufenlos eingestellt werden. Ferner gibt es oben noch ein Fenster (Nr. 1), in dem bei indirekter Parallelverschiebung oder Scheimpflug-Schwenkung der Winkel (0° - 40°) zwischen optischer Achse und Grundrohr oder Laufboden einstellbar ist, damit die durch den Neigungswinkel (um den Cosinus dieses Winkels) verfälschte Auszugsdifferenz korrigiert wird. Dadurch wird das Ergebnis nochmals viel genauer als mit Hilfe einer grobstufigen Tabelle.
Klicken Sie auf das Bild, um eine PDF-Datei der im Format DIN A4 mitgelieferten Bedienungsanleitung zu erhalten. Dort finden Sie weitere technische Details und erklärende Zeichnungen.
Meine Rechenscheibe kann aber noch sehr viel mehr. Als ich sie konstruierte, überlegte ich, ob man die Rückseite nicht ebenfalls nutzen könnte. Mir schwebte vor, auch den Scheimpflug-Schwenkwinkel irgendwie zu berechnen. Tatsächlich gelang es mir, eine dazu nötige mathematische Formel herzuleiten und diese in eine völlig neuartige Rechenscheibe umzusetzen. Mehr dazu erfahren Sie auf der nächsten Seite (bitte den roten Pfeil rechts unten anklicken). Ferner finden Sie am Ende der folgenden Seite einen Link zur Anleitung für die von mir für die Linhof-Seminare entwickelte einfachere, schnellere und dennoch zuverlässige Methode, den richtigen Scheimpflug-Schwenkwinkel zu finden. Dazu gehört auch ein von mir berechnetes neuartiges Schwenkwinkel-Diagramm, das ganz schnell einen schon ziemlich genauen Scheimpflug-Schwenkwinkel (als Ausgangswert meiner Methode) liefert.
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